ZEHN - Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen

Mangelernährung im Alter? Tipps für Angehörige und Einrichtungen

Alltagssituationen, die vielen Menschen bekannt sind: Während beim gemeinsamen Grillen in den letzten Jahren vom (Groß-)Vater immer Nachschlag eingefordert wurde, isst er im betreuten Wohnen nicht einmal die kleine Portion Mittagsessen. Anders als früher bringt Oma zum Kindergeburtstag nicht ihren selbstgebackenen Kuchen mit und auch die schicken Klamotten sitzen nicht so wie gewohnt.

Veronika Schaper - Layout Magazin
© ZEHN

Nachlassender Appetit, ein verringertes Durstempfinden, Kau- und Schluckprobleme – das sind einige der Faktoren, die eine Mangelernährung im Alter begünstigen. Mangelernährung – sowohl bei Menschen im Privathaushalten als auch bei Bewohner*innen in Senioreneinrichtungen – zu erkennen und ihr entgegenzuwirken, ist wichtig.

Wir haben mit Veronika Schaper, Ökotrophologin im Seniorendomizil Riepenblick“ in Hameln gesprochen und gefragt, wie sie dort mit dem Thema Mangelernährung umgehen.

 

Frau Schaper, Sie sind Ökotrophologin in einer Senioreneinrichtung. Beschreiben Sie uns Ihren Alltag in der Einrichtung rund um die Mahlzeiten. Wie nehmen Sie das Essverhalten der Senior*innen wahr?

Das Angebot in unserer Senioreneinrichtung bietet Abwechslung, die Speisen sind ausgewogen und schmecken den Tischgästen. Die Bewohnenden gehen gerne zu den Mahlzeiten und treffen sich in ihrer gewohnten Gemeinschaft, um gemeinsam zu essen. Das oberste Ziel der Pflegefachpersonen ist es, dass Bewohnende in ihrer Eigenständigkeit gefördert werden. Die Würde des Menschen aufrecht zu halten, ist dabei der wichtigste Grund. Dabei spielt aber auch eine Rolle, dass durch die Eigenständigkeit der Bewohnenden, die Pflege entlastet wird. So lange der Appetit da ist, scheint erst einmal alles in Ordnung zu sein.

 

Aber?

Dann gibt es noch Menschen, bei denen der Appetit ausbleibt und/oder das Essen der Mahlzeiten Schwierigkeiten bereitet. Häufig liegt es dabei nicht am Speisenangebot selbst, das die Küche bereitstellt. Eine einfache Änderung der Gerichte würde allein nicht zum Ziel führen, den Betroffenen das Essen zu erleichtern. Oft ist es eine Vielzahl an unentdeckten Problemen, wie z.B. die Einnahme bestimmter Medikamente, Kauprobleme oder auch Schwierigkeiten das Besteck zu halten. Die Ursachen für die geringe Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sind vielfältig und nicht immer sofort erkennbar. Als Ökotrophologin finde ich es sehr wichtig, genau nach den Ursachen zu schauen, um dann dazu passende Maßnahmen zu ergreifen.  Hierbei ist es sehr hilfreich, dass wir uns im Team gut abstimmen und die Sichtweisen der unterschiedlichen Berufsgruppen vereinen. Allen voran stehen aber die persönlichen Bedürfnisse und Gewohnheiten der Menschen selbst.

 

Das sind wichtige Beobachtungen rund um das Essverhalten, die Sie als Personal machen. Als Folge dieser verschiedenen Ursachen kann es dazu kommen, dass die Bewohnenden zu wenig essen oder es ihnen an wichtigen Nährstoffen fehlt.  Dann droht eine Mangelernährung. Wie erkennen Sie, ob jemand in Ihrer Einrichtung mangelernährt ist?

Für Pflegeeinrichtungen spielt der Expertenstandard Ernährungsmanagement eine große Rolle, wenn sie ihre Qualitätskonzepte festlegen. Er rät an, mit Screeningbögen zu arbeiten. So machen wir das auch. Routinemäßig oder bei einem Verdacht sind diese Fragebögen eine schnelle und einfache Möglichkeit, um festzustellen, ob eine Person mangelernährt ist und wir nächste Schritte einleiten müssen. Wir setzen sie nicht nur bei der Aufnahme einer Person ein, sondern auch, wenn sich Lebensumstände verändern oder ein Krankenhausaufenthalt erfolgte. Oft sind eine Gewichtsabnahme oder die Veränderung des Allgemeinzustands ein Indiz dafür, sich den Ernährungszustand genauer anzuschauen. Dann führen wir Ernährungs- und Trinkprotokolle, die einen guten Überblick geben, wie viel gegessen und getrunken wird. Hierbei ist es wichtig, dass alle Mitarbeitenden darüber informiert werden, warum und wie das Protokoll auszufüllen ist. Die Ergebnisse bespreche ich dann gemeinsam mit den Pflegenden, um einen Gesamteindruck über die drohende oder bestehende Mangelernährung zu bekommen. Davon leiten wir für die jeweilige Person individuelle Lösungen ab, um ihren Zustand zu verbessern.

 

Wie gehen Sie vor, wenn bei einem Bewohner oder einer Bewohnerin eine Mangelernährung festgestellt wird?

Ist ein Bewohner oder eine Bewohnerin mangelernährt, sind wir als multidisziplinäres Team gefragt, eine individuelle Lösung zu finden. Sprich, ich als Ökotrophologin zusammen mit dem Pflegepersonal, den Köchinnen und Köchen und all denjenigen, die mit der Zubereitung und Gestaltung der Mahlzeiten betraut sind. Gemeinsam legen wir Maßnahmen fest, die den Gesundheitszustand der Person verbessern sollen. Dabei stehen immer die Bedarfe und Bedürfnisse unserer Tischgäste im Fokus.

Die Maßnahmen werden individuell auf die jeweilige Ursache der Mangelernährung abgestimmt und regelmäßig auf ihre Wirksamkeit überprüft. Um ein solch professionelles und sehr individuelles Vorgehen zu ermöglichen, ist es erforderlich, dass im Besonderen die Mitarbeitenden der Küche und alle, die mit der Zubereitung und auch bei der Gestaltung der Mahlzeiten betraut sind, stetig geschult sind.

Wissen um eine bedarfs- und bedürfnisgerechte Ernährung und dessen Nutzen für die Gesundheit unserer Tischgäste ist die Grundvoraussetzung für unsere Arbeit. Nicht zuletzt schafft das auch die Grundlage dafür, dass die Mitarbeitenden mit Freude und der notwendigen Bereitschaft eine nährstoffdichte und wohlschmeckende Mahlzeit zubereiten. Wenn die ergriffenen Maßnahmen zu einer Verbesserung des Allgemeinzustandes führen, geben wir dies als Feedback auch immer an alle Beteiligten, wie die Küche zurück. So entsteht ein allmählicher aber sich ständig verbessernder Prozess der Verpflegungsqualität.

 

Das klingt nach einem gelungenen Einrichtungskonzept. Sucht jemand eine Einrichtung für eigene Pflegebedürftige, sind Verpflegungsqualität, Einrichtungskonzept, Qualifikation und Möglichkeiten für individuelle Lösungen sicherlich wichtige Kriterien für die Auswahl.

Wie sieht es aber in Privathaushalten aus? Angehörige, die ihre Eltern oder Großeltern im häuslichen Umfeld betreuen, sind ebenfalls mit Herausforderungen wie nachlassendem Appetit oder einer zu geringen Flüssigkeitsaufnahme konfrontiert. Haben Sie Tipps, die sich auch zuhause anwenden lassen?

Ein Tipp wäre, ab und zu Lieblingslebensmittel oder Lieblingsgerichte vorbeizubringen. Meine Mutter zum Beispiel liebt es, wenn ich ihr vollwertiges Brot einkaufe. Einen Teil davon frieren wir gemeinsam in kleinere Portionen ein, sodass sie sich in Abwesenheit ihrer Kinder selbst damit versorgen kann. Dazu bringe ich immer mal wieder Nussmus als streichfähigen Aufstrich mit. Dieses liefert wertvolle Nährstoffe und hält sich aufgrund des Fettgehaltes länger als anderer Aufschnitt. Eine Handvoll Walnüsse bereitstellen, ist auch zur geliebten Gewohnheit geworden. Ein Joghurt als Zwischenmahlzeit wird mit Obst und geschälten Hanfsaaten getoppt und so gestaltet sich die Mahlzeiten immer etwas wertvoller. Für ausreichend Flüssigkeit ist es hilfreich, die Getränke bereitzustellen und Mahlzeiten mit hohem Flüssigkeitsgehalt mit einzubauen, wie z.B. Suppen oder wasserreiches Obst und Gemüse.

Mein Bruder unterstützt meine Mutter beim Einkauf und gemeinsam zu essen steigert bekanntlich den Appetit. Wirklich schöne Momente sind es, wenn unsere Kinder mit der Oma Lieblingsrezepte kochen. Es bereitet Freude auf beiden Seiten und ein wenig kann davon   eingefroren werden. Wichtig ist aus meiner Sicht immer, die Bedürfnisse und Gewohnheiten des Menschen zu kennen und zu berücksichtigen.

Das sind gute Ideen: Lieblingsspeisen einbinden, eine clevere Lebensmittelauswahl für viele Nährstoffe in kleiner Menge, Angebote griffbereit oder vorbereitet im Gefrierfach zum einfachen Auftauen und auch gemeinsames Einkaufen, Kochen und Genießen.

Hilfreiche Informationen, Tipps und Rezepte finden Angehörige auch auf der Internetseite der Vernetzungsstelle Seniorenernährung Niedersachsen.

 

Vielen Dank, Frau Schaper für den Einblick in Ihre Seniorenresidenz. Mit Ihren Beschreibungen über ein gutes Einrichtungskonzept und die hilfreichen Tipps zuhause können auch Angehörige Mangelernährung im Alter gut im Blick behalten und agieren, wenn es nötig ist.