Zeitenwende - auch in der Hauswirtschaft!
Was bedeutet fächerübergreifende Zusammenarbeit für die Hauswirtschaft? Und welche Aufgaben haben Hauswirtschafter*innen in Puncto Nachhaltigkeit ? Wir haben mit Prof. Dr. Melanie Speck über Erkenntnisse des 2. Deutschen Hauswirtschaftskongresses gesprochen.
Frau Prof. Dr. Speck, was waren für Sie persönlich die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie vom Hauswirtschaftskongress mitgenommen haben?
Wir können vor allem aus der Podiumsdiskussion zum Thema des Kongresses: Hauswirtschaft: relevant, nachhaltig, sicher mitnehmen, dass wir interdisziplinär, also fächerübergreifend, zusammenarbeiten müssen. Während meiner Tätigkeit am Wuppertal Institut haben wir in einem Team mit vielen unterschiedlichen ForscherInnen zusammengearbeitet. Dort war ich die einzige Ökotrophologin zwischen Maschinenbauern, Umweltsoziologen, Betriebswirtschaftlern, Psychologen etc. In der Hauswirtschaft und auch auf Kongressen ist dieses interdisziplinäre Miteinander aber normalerweise eher weniger der Fall. In dem Podium haben wir es geschafft, dass wir in diese Richtung gehen. Es waren Vertreter*innen aus der sozialen Arbeit, Pflege, Politik und aus der Gewerkschaft dabei. Das größere, fächerübergreifende Verständnis wird gebraucht, um voneinander zu lernen.
Eine Zusammenarbeit über die Fachbereiche hinaus hat sich auch der Deutsche Pflegerat in der Podiumsdiskussion gewünscht. Welchen Mehrwert hätte das denn für die Hauswirtschaft?
Die Pflege ist durch Corona sehr stark in den Fokus gerückt. Die Menschen verstehen, dass Pflege etwas Professionelles ist. Das erhoffe ich mir auch für die Hauswirtschaft. Und die Schnittstelle zwischen Pflege und Hauswirtschaft ist deutlich: Wir haben die ambulante Pflege, in der der Pflegedienst zweimal am Tag eine halbe Stunde kommt. Was passiert in den restlichen 23 Stunden? Die werden in der Regel über den Privathaushalt abgefangen – das wird von außen dann weniger als Professionell wahrgenommen. Wir müssen aus dieser, ich nenne es mal „Exklusivität“ im Privathaushalt herauskommen. Fakt ist nämlich, dass Vorgänge, die im Privathaushalt passieren, gefühlt niemanden etwas angehen – aber das stimmt nicht. Gerade vor den Hintergründen der Klimakrise oder dem demografischen Wandel müssen auch die Prozesse und Entscheidungswege im Privathaushalt mehr in die öffentliche Diskussion gelangen.
Ein Beispiel: Sowohl in der Hauswirtschaft als auch in der Pflege stellt sich die Frage:
Woher kommen die Arbeitskräfte? Aus dem Plenum kam eine Meldung, die verdeutlicht hat, dass die Arbeitskräfte vorhanden sind. Aber: Wie bekommen wir diejenigen, die in der Schwarzarbeit tätig sind, in das Bezahlsystem? Gerade dann wenn das Haushaltschecksystem eingeführt wird, wie bekommen wir diese Kräfte gemeldet? Es muss über die Agentur für Arbeit kommuniziert werden, dass ein Bezahlsystem kommen wird, bessere Löhne anstehen und es sozialversicherte Arbeitsplätze gibt. Und um das zu erreichen, müssen Hauswirtschaft und Pflege zusammenarbeiten – das hätte einen Mehrwert für beide Bereiche.
Auf dem Hauswirtschaftskongress stand Nachhaltigkeit im Fokus. Was haben Sie aus den Gesprächen und Vorträgen mitgenommen?
Wir müssen (noch) konkreter die Hauswirtschaft in den Dimensionen Soziales, Ökonomie UND Ökologie zusammendenken. Das geht weit über die Frage hinaus, ob wir z.B. einen energieeffizienten Prozess haben, sondern in die umfängliche Analyse von Versorgungs- und Betreuungssystemen in Quartieren. Angefangen bei der baulichen Gestaltung von Einrichtungen bis hin zur Alltagskompetenz, zum Beispiel in der Jugendhilfe. Hauswirtschafter*innen haben nämlich auch die Aufgabe, Fähigkeiten rund um nachhaltigeres Handeln zu vermitteln. Ein Beispiel wäre hier für mich, Jugendlichen in der Jugendhilfe zu erklären, was auf den Tisch kommt und welcher Lage Weg der Erzeugung dahinter steckt. Und auch darüber hinaus können Hauswirtschafterinnen und Hauswirtschafter wichtige Impulse in Richtung Nachhaltigkeit setzen. Dazu gehört, in öffentlichen Kantinen und Verpflegungsbereichen auf ein gesünderes, pflanzenbasiertes Angebot umzustellen. Mir ist bewusst, dass dies keine einfache Botschaft ist und sich einige aus ihrer Komfortzone herausbewegen müssen. Doch Angebot erzeugt Nachfrage und in der Gemeinschaftsverpflegung wird das verzehrt, was angeboten wird. Wenn dies leckere vegetarische Speisen sind, hinterfragt das keiner. Da gehört es auch dazu, dass auf einem solchen Kongress wie dem hier in Hannover, vorrangig vegetarische Hauptspeisen angeboten werden.
Zum Schluss hätte ich noch eine letzte Frage: Auf dem Kongress waren auch junge Hauswirtschafter*innen dabei. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig, wenn es um den Nachwuchs der Hauswirtschaft geht?
Die Hauswirtschaft ist insgesamt eine Ausbildung, die zu wenig auf dem aktuellen Tablett ist. Zu wenig Menschen wissen, dass es eine hauswirtschaftliche Berufsausbildung gibt. Wir sehen in den Ausbildungsgängen: Wenn Personen eine hauswirtschaftliche Ausbildung angefangen haben, bleiben die Fachkräfte in diesem Bereich. Im Gegensatz zu beispielsweise der Kochausbildung, haben wir eine geringe Fluktuationsrate, also Menschen, die die Hauswirtschaft wieder verlassen. Dementsprechend müssen wir uns fragen: Wie schafft man es, jetzt mehr Nachwuchskräfte in die Ausbildung der Hauswirtschaft zu bringen? In Schulen müssen dafür Kommunikationskampagnen entwickelt werden, die Schüler*innen ansprechen und erklären, was Hauswirtschaft ist. Zweitens ist es so, dass das Arbeitsfeld benötigt wird, auch wenn die Hauswirtschaft politisch nicht gesehen wird. Sei es in der Ausbildung, in der Hochschule oder in der Universität. Dort haben wir aktuell die Situation, dass nur sehr wenige Stellen vorhanden sind. Je mehr aber wissenschaftlich gearbeitet und publiziert wird, desto leichter erreichen hauswirtschaftliche Kompetenzen den Rang anderer Wissenschaften. Zusätzlich müssen in diesem Bereich Gelder bereitgestellt werden. Zusammengefasst: Wir sind gerade an einer Zeitenwende, auch in der Hauswirtschaft. Wir verjüngen uns idealerweise. Es ist schön, dass wir es durch die 12 Stipendiat*innen des ZEHN geschafft haben, auf dem Kongress junge Leute auf die Bühne zu bekommen. Ich würde mittelfristig sehr gerne die Jugend viel mehr einbinden und glaube, dass sie viele gute Ideen hat, die Berufe rund um die Hauswirtschaft zukunftsfähiger und attraktiver zu gestalten.
Über die Hauswirtschafts-Expertin:
Prof. Dr. Melanie Speck ist Professorin an der Hochschule in Osnabrück im Bereich „Soziökonomie in Haushalt und Betrieb“ und leitete bis 2020 den Forschungsbereich „Produkt und Konsumsysteme“ am Wuppertal Institut für Klima. Die studierte Ökotrophologin moderierte auf dem 2. Hauswirtschaftskongress in Hannover die Podiumsdiskussion zu dem Thema: Hauswirtschaft: relevant. nachhaltig. sicher.