ZEHN - Zentrum für Ernährung und Hauswirtschaft Niedersachsen

Wo Politik, Gesellschaft und Verwaltung gemeinsam die Weichen Stellen – das „Göttinger Modell“ der Kita- und Schulverpflegung

„Es wird gegessen, was…!“ …auf den Tisch kommt? Nein, sondern was gesundheitsfördernd, regional, frisch und lecker ist. Zumindest in der Kita- und Schulverpflegung der Stadt Göttingen! Kommunen haben mit der Gestaltung des Essensangebots einen großen Hebel, um für Kinder und Jugendliche qualitativ hochwertige und gleichzeitig nachhaltige Mahlzeiten sicherzustellen. Wir haben mit Anja Köchermann, Leiterin der Küchenbetriebe der Stadt Göttingen, gesprochen und gefragt, wie das in Göttingen gelingt.

Anja Köchermann bearbeitet
© wetellmedia.de

Frau Köchermann, das Verpflegungskonzept der Stadt Göttingen ist überregional als Paradebeispiel bekannt. Was macht das sogenannte „Göttinger Modell“ aus?

Qualität, Geschmack, Ressourceneinsatz und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen – das ist der Stadt Göttingen in Sachen Schul- und Kitaverpflegung schon lange ein großes Anliegen, um auch den zukünftigen Ansprüchen der Gäste zu entsprechen. Daher wurde bereits 2008 von der Verwaltung ein Verpflegungs- und Dienstleistungskonzept gefordert. Gemeinsam mit Akteur*innen aus Schulen, Kitas, Verwaltung, Gesellschaft, Politik sowie aus Küchen und Mensen wurde mit ökotrophologischer Expertise ein ganzheitlich ausgerichtetes Qualitätsentwicklungskonzept für die städtischen Küchenbetriebe verfasst. Ein besonderes Merkmal unseres Konzepts ist also, dass wir stadtweit einheitlich vorgehen.

Wie sieht die Verpflegung denn nach diesem Konzept in Ihren Küchen aus?

Ein zentraler Grundsatz darin ist, dass die Verpflegung an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ausgerichtet ist. Täglich stehen mindestens drei Menüs zur Auswahl. Wir kochen grundsätzlich vegetarisch bis auf ein Fleisch- und ein Fischmenü in der Woche. Darüber hinaus ist die Saisonalität ein wichtiges Kriterium: Für Schulen und Kitas gibt es altersgerechte Sommer- und Winterspeisepläne, die in regelmäßigen gemeinsamen Speiseplanbesprechungen entstehen. Der Bezug von regionalen Erzeugnissen – wenn möglich in Bioqualität – wird nach und nach ausgebaut. Im letzten Jahr haben wir erstmalig Bio-Äpfel aus der Region als Stückobst bezogen. Mit unserer Speisenauswahl setzen wir auf sättigende, ballaststoffhaltige Speisen mit wenig Salz und Zucker und einem geringen Fettgehalt. Wir setzen hochwertige pflanzliche Öle ein und verzichten so gut es geht auf Waren mit Zusatzstoffen und Transfettsäuren. Immer mit dabei: Ein Gemüse-, Rohkost-, Salat- oder Obstangebot. Und seit 2009 wird in unseren Schulmensen Göttinger Leitungswasser angeboten.

Gesund, pflanzenbetont, saisonal, regional und wenn möglich bio – wie geht das?
Um das so in der Küche umsetzen zu können, entwickeln unsere diätetisch ausgebildeten Köch*innen gesundheitsfördernde und klimaeffiziente Rezepturen. So gibt es ein eigenes Göttinger Schulbrötchen, um den Ballaststoffgehalt zu erhöhen. Insgesamt steigern wir die Eigenproduktion in unseren Küchen. Suppen, Soßen und Bratlinge werden aus frischen pflanzlichen Zutaten selbst zubereitet. Nicht zuletzt achten wir auf möglichst kurze Transportwege und Mehrwergverpackungen. Der CO₂-Fußabdruck sowie die Reste- und Abfallvermeidung werden bei uns sehr ernst genommen. So konnten wir die Treibhausgasemissionen um 17 % und vermeidbare Rest- und Abfallmengen um die Hälfte reduzieren.

Das alles gelingt, weil unser Versorgungskonzept nicht statisch ist. Es wird wissensbasiert weiterentwickelt und das gesamte Küchen- und Mensapersonal regelmäßig geschult und in neuen Inhalten weitergebildet.

Insgesamt versorgen Sie mit diesem Modell 31 Schulen und 13 Kitas und geben 5500 bis 6000 Essen pro Tag aus. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis? Was können Sie anderen Kommunen mit auf den Weg geben?

An dieser Stelle sind gleich mehrere Aspekte zu nennen, die wir aus unserer Erfahrung empfehlen können:

  1. Fachliche Expertise aus der Haushalts- und Ernährungswissenschaft (Ökotrophologie) einbinden.
  2. Ein ganzheitlich ausgerichtetes Qualitätsentwicklungskonzept gemeinsam erstellen.
  3. Kontinuierlich kommunizieren und gemeinsame Speiseplanbesprechungen mit Schulen und Kitas durchführen.
  4. Standards und Maßstäbe in Produktionsküchen und Schulmensen etablieren.
  5. Ein zentrales Qualitäts- und Schnittstellenmanagement zur Weiterentwicklung nutzen.
  6. Ein Schulungs- und Fortbildungskonzept für die Mitarbeitenden umsetzen.

Um das ganzheitliche Konzept voranzubringen sitzt die kommunale Verwaltung als Entscheidungsträger für die Schulverpflegung an zentraler Stelle. Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht der politische Wille in der Gestaltung der Schulverpflegung?
Politik, Gesellschaft und Verwaltung stellen die Weichen und müssen von einem ganzheitlichen Vorgehen überzeugt sein. Schulverpflegung ist ein sehr komplexes Thema. Darin involviert sind viele Akteur*innen und Beteiligte, die vielfältige Perspektiven und Erwartungen mit sich bringen. Das setzt eine gute Vorbereitung und fachlich fundierte Planung voraus, wenn die Schulverpflegung optimiert werden soll.
Um alle Rahmenbedingungen und Anforderungen zu erfassen und in der Gestaltung zu berücksichtigen, bedarf es fachlicher Expertise aus der Gemeinschaftsverpflegung, die mit auskömmlichen Zeit- und Personalkapazitäten ausgestattet ist. Sie muss umfassende, entscheidungsreife und in die Praxis umsetzbare sowie akzeptierte Verpflegungskonzepte erarbeiten. Diese sollten mit allen beteiligten Akteur*innen abgestimmt werden. 

Eine häufige Herausforderung, die in der praktischen Umsetzung genannt wird, ist die Preisgestaltung. Wie lösen Sie diese in Göttingen?

Auch Schulverpflegung hat seinen Preis. Oft werden die Gesamtkosten unterschätzt und Kommunen tragen einen nicht unerheblichen Zuschuss. Stadtweit wird in Göttingen einheitlich vorgegangen: Zum einen gilt, dass die regelmäßige und planbare Essenteilnahme im Abonnement etwas günstiger als eine spontane Essenteilnahme angeboten wird. Darüber hinaus gibt es einen Unterschied im Preis zwischen Primar- und Sekundarstufe. 2012 hat der Rat der Stadt Göttingen dieses Vorgehen sowie eine jährliche Steigerung der Essenspreise von 3 % beschlossen. Ein aktuelles Mittagessen für Schüler*innen liegt heute zwischen 3,97 € und 4,90 €.

Schön wäre es, wenn Kinder über das, was sie in der Mittagspause auf dem Teller finden, auch etwas im Unterricht lernen. Gibt es im „Göttinger Modell“ eine Verbindung zwischen Schulverpflegung und Ernährungsbildung?

Ernährungs- und hauswirtschaftliche Bildung sind sehr wichtig, um eine gesundheitsförderliche, klimaeffiziente und nachhaltige Versorgung sicherzustellen. Hier ist es entscheidend, die Zuständigkeiten und Verantwortungen der Schulverpflegung und Bildungsarbeit zu klären: 
Schulverpflegung ist die Versorgungs- und Dienstleistungserbringung für die der Schulträger mit eigenem oder externem Personal zuständig ist. Bildung dagegen ist eine pädagogische Aufgabe somit in der Zuständigkeit der Bundesländer.

In erster Linie handelt es sich beim „Göttinger Modell“ um ein Management-, Betreibungs- und Versorgungskonzept. Zeitweise kooperieren wir mit wissenschaftlichen Projekten oder bieten Aktionen wie Küchenbesichtigungen an – es umfasst aber keine kontinuierliche Bildungsarbeit.

Haben Sie denn einen Lösungsansatz, wie die Verbindung zwischen Verpflegung und Bildung geschaffen werden könnte?

Ja, es ist ein wohlüberdachter Wunsch, der mich seit meinem eigenen Ökotrophologie-Studium und einem Studierendenaustausch in Kanada bewegt: Eine tolle Vorstellung wäre es, wenn qualifizierte Schulökotropholog*innen eingesetzt werden, die kontinuierlich, fachlich kompetent und pädagogisch ausgebildet sind. Sie könnten in den Ganztagsschulen im Rahmen des Curriculums die Bildungsarbeit in den Bereichen Ernährungs-, Konsum- und Alltagskompetenzen übernehmen. Ich denke, junge Menschen sollten frühzeitig erfahren dürfen und von unabhängiger Stelle vermittelt bekommen, was für ein selbstbestimmtes gesundheitsförderliches, klimaeffizientes und nachhaltiges Leben wichtig ist.

 

Frau Köchermann, wir bedanken uns für das aufschlussreiche Interview und die Einblicke in die Göttinger Kochtöpfe. Wir sind überzeugt, dass Sie anderen Kommunen aus Ihrer Erfahrung wertvolle Aspekte mit auf den Weg geben können.